Dass die Frau von Gretes Chef ihren sternhagelvollen Gatten
so aufs Glatteis geführt hat, gefällt dem Lieschen. Dass es sich aber
offensichtlich um einen Teil eines Rituals handelt, mutet die Liese seltsam an.
Er lässt sich, in ihren Augen, was zu Schulden kommen, muss dafür „etwas
springen lassen“, sie bestimmt den Preis, er zahlt ihn mithilfe seiner
Sekretärin Grete Meier und die Gattin bekommt etwas, das sie ohne sein Verschulden nicht
bekommen hätte, aber von ihm wollte? Klingt kompliziert, findet die Liese.
Lieschen selbst könnte das Malheur von Gretes Chef am
gestrigen Abend ja nicht mehr passieren. Nicht, dass ihr etwas Vergleichbares
noch nie passiert wäre. Nein. Das ist ihr schon passiert. Oft sogar. Viele
Nächte ihres Lebens hat sie dem Alkohol geschenkt. Aber das ist schon lange
her.
Seit mehr als 25 Jahren trinkt das Lieschen keinen Tropfen
mehr. Also Wasser und Saft schon. Aber halt keinen Alkohol. Sie selbst findet
das super und der Hermann auch. Der hat ihr das nämlich nachgemacht. „Ach weißt du was?“ hat er
gesagt als ihm klar wurde, dass die Liese tatsächlich niemals Alkohol trinkt, „dann
lasse ich das ab heute auch.“ Natürlich war das eine Freude für das Lieschen.
Sie mag nämlich nicht mit Betrunkenen zusammen sein. Auch nicht mit Angetrunkenen.
Und weil der Hermann das selbst so rasch entschieden hat, musste sie ihn nicht
einmal darum bitten, nichts oder wenig zu trinken. Das war natürlich ein
Geschenk des Himmels. Für sie beide.
Nicht jedoch für ihre Freunde und all die Leute, die sie im
Laufe der Zeit kennen gelernt haben. Bei Hermann und Lieschen gibt es nämlich
auch bei Einladungen keinen Alkohol zu trinken. Das gefällt nicht jedem. Und
wenn die beiden von Menschen eingeladen werden, die sie noch nicht gut kennen,
bieten die natürlich immer Alkohol an. Und wenn die Liese dann sagt „Danke.
Nein. Mir ein Wasser“ nimmt das Drama gewöhnlich seinen Lauf.
Mit Fragen wie „du
musst doch nicht mehr fahren, oder?“, „ach komm, ein Sektchen wirst du dir doch
nicht entgehen lassen, oder doch?“ und Vergleichbarem beginnt es. Wenn Lieschen
dann sagt „Ach nein, ich trinke nie Alkohol“ oder „ich hab die Gesamtmenge
Alkohol, die für ein Leben vorgesehen ist, bereits intus“ kommt so richtig
Fahrt in die Sache. „Gaaar keinen Alkohol??? Nicht mal ein Bier?“ beantwortet mit z.B. „Nö, nicht mal ein Bier“
ist in den meisten Fällen der Startschuss zu Erklärungen, dass so ein Bierchen
ja quasi nix ist, der Sekt ein ganz Besonderer ist, sie selbst ja auch nicht
viel trinken, so ein Fest oder solch ein Essen doch nach angenehmen Getränken
verlangt und so weiter.
In all den Jahren hat sich da nichts geändert. Hermann und
Lieschen sind Exoten und für eine normale Feiergemeinde eine Herausforderung. Nicht
weil sie sagen, dass die anderen ebenfalls nichts trinken sollen. Das sagen sie
nie. Meinen sie auch nicht. Wohl auch nicht, weil sie meistens relativ früh
wieder gehen. Das ist ja eher gut. Für alle. Sondern vielleicht, weil sich manche der anderen Anwesenden beobachtet fühlen, von Menschen, die alles mitbekommen und sich
auch am nächsten Tag noch an alles erinnern können, was vorgefallen ist? Das
ist natürlich für manche auch nicht schön. Gretes Chef wäre es bestimmt nicht Recht, oder? Dabei wären die beiden auch in einem
solchen Fall an Rechtfertigungen nicht interessiert.
Manchmal juckt es das Lieschen in den Fingern bei solchen
Gelegenheiten Zigaretten zu verteilen. „Ach komm, ein Zigarettchen macht doch
nix. Ist doch soooo gemütlich. Schließ dich doch nicht so aus.“ Aber das macht
sie nicht. Erstens weil sie das Rauchen selbst gruselig findet und nicht täte,
wenn sie nicht süchtig danach wäre und zweitens weil sie gelernt hat, dass das
ja zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe sind. Trinken ist normal. Rauchen
nicht mehr.
Aber im Grunde meint das Lieschen: jeder wie er mag. Nur zu
Erklärungen hat sie keine Lust. Auch wenn sie diejenige ist, die aus der Reihe tanzt.
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