Im ersten Moment hatte das Lieschen ja Mitgefühl mit Grete
und ihren Kollegen. Von jetzt auf gleich in eine solch anstrengende Woche zu
starten, erschien dem Lieschen als ein schweres Los. Dass die Firma auf der
Kippe stand, hat sie ja eben zum ersten Mal gehört. Die Grete hat sie dann
beruhigt und unter Lachen erzählt, dass sie alle froh sind, dass sie eine Gratifikation bekommen können und vor allem, dass ihre Arbeitsplätze erst
einmal gesichert sind. Das hat die Liese dann natürlich verstanden und sich auch
ein bisschen von Gretes guter Laune und ihren lustigen Erzählungen anstecken
lassen.
Trotzdem denkt sie, dass von Arbeitnehmern heute viel
verlangt wird. Die mittlerweile üblicherweise geforderte Flexibilität hätte das
Lieschen gar nicht mehr. Denkt sie jedenfalls. Oder ist es vielleicht auch nur
ihre Unfähigkeit zum Arbeitnehmertum? Lieschen wäre wohl kaum noch in der Lage,
sich einem Arbeitgeber unterzuordnen. Vielleicht, so denkt sie dann, wäre sie
schon noch ziemlich flexibel. Nur eben nicht im Betrieb eines anderen.
Fast ihr
gesamtes Erwachsenenleben lang war die Liese ja selbstständig. Keine
Unternehmerin, aber selbstständig. Da hat sie natürlich meistens rund um die
Uhr gearbeitet und von regelmäßigen Urlauben oder so Zeugs, das für Arbeitnehmer
ja doch immer noch ziemlich selbstverständlich ist, lange Zeit nur träumen
können. Aber sie wusste immer für wen sie es macht. Für sich oder für den
Hermann und sich. Sie musste mit niemandem über Vorgehensweisen diskutieren und
fühlte sich immer frei. Das ist dem Lieschen ja wichtig.
Immer gab es einen
Grund und ein Ziel für ihr Engagement. Und wenn es den nicht gab, hat sie einen
Gang runter geschaltet. In Lieschens Fall ging es da immer sowohl um
finanzielle als auch um inhaltliche Gründe und Ziele. Sie könnte sich
vorstellen, dass es einem möglichen Chef vielleicht auf die Nerven gehen würde,
wenn sie bei jeder Arbeit nach dem Sinn für sich, für ihn, für die Firma, für
die Kunden und so weiter fragen würde. Während die Liese sich das vorstellt
lacht sie sich fast kaputt und ist umso froher über ihr Leben, in dem sie
selbst entscheiden kann und in dem sie sicher ist, dass aller Unsinn und jeder
Fehler, der ihr unterläuft, auf ihrem eigenen Mist gewachsen ist. Eine prima
Sache.
Und doch beneidet sie manchmal die Grete, die in ihrem Beruf so völlig
aufgeht und nur wenig infrage stellt. Wahrscheinlich einfach, weil es ihr dort
Freude macht. Das ist ja vielleicht sogar die Hauptsache. Und Gottseidank sind
ja nicht alle Menschen gleich. Sonst hätte Gretes Chef ja heute niemandem
gehabt, der „ihm den Arsch retten“ könnte. Über diesen Gedanken, so formuliert, muss sie schon wieder lachen und ist sich natürlich auch wieder sicher, dass
sie genügend flexibel ist. Sowohl körperlich, dafür macht sie schließlich
genügend Gymnastik, als auch mental und überhaupt.
Und diese Flexibilität braucht sie ja jetzt auch wieder.
Gottseidank ist der Grund dafür ein wunderbarer und Gottseidank winkt ihr eine
Menge Freude und eine gute Zeit. Da ist sie sicher. Ein bisschen schade findet sie schon, dass sie
es der Grete eben am Telefon nicht
erzählt hat. Aber sie wollte sie in ihrer Euphorie auch nicht von sich aus unterbrechen
und gefragt hat sie schließlich auch nicht. Eigentlich trägt das Lieschen ja
das „Herz auf der Zunge“. Im Normalfall hält sie ja kaum etwas zurück. Und schon
gar nicht so etwas Wichtiges. Aber diesmal ist es ihr vielleicht sogar ein
bisschen Recht, dass die Sprache noch nicht darauf gekommen ist. Vielleicht ist
es in diesem Fall auch gut, wenn sie sich vorher überlegt, wie sie es der Grete
erzählt. Vielleicht ist es am besten, wenn sie nicht sofort mit der Tür ins
Haus fällt.
Gottseidank hat sie ja bis zum Sonntagskaffee bei ihr noch genügend
Zeit, sich einen Plan zu machen. Als sie das denkt, lacht sie wieder laut vor
sich hin, die Liese. Sie und ein Plan für die Vermittlung einer Information ist
schon eine lustige Vorstellung. Auch für sie selbst. Sie beschließt also das
vermutlich einzig Richtige und lässt ihre Überlegungen los. Schließlich hat sie
selbst noch mehr als genug zu tun bis zum nächsten Sonntag. Nur kurz denkt sie
noch „Menschenskinder, wird die Grete Augen machen“, glaubt aber im Grunde
daran, dass auch in diesem Fall das Leben dafür sorgen wird, dass alles gut
wird.
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Herzlichen Dank für Euer Interesse und die den Blog so sehr bereichernden Kommentare!
Beides ist sowohl der Liese als auch mir eine große Freude! :-)))